"Das Ziel ist es, Gesundheitsinnovationen Made in Europe auf den Markt zu bringen."
Die technologischen Fortschritte in den Bereichen KI und Robotik der letzten Jahre sind beispiellos und haben die Phantasie von Unternehmen, Start-ups und Forscher*innen gleichermaßen beflügelt. Das Gesundheitswesen bildet da keine Ausnahme, aber neue medizinische Geräte und Verfahren müssen sich als sicher und nützlich erweisen, bevor sie an Patient*innen eingesetzt werden können. Und obwohl die Europäische Union hohe Qualitätsanforderungen stellt, sind die Entwickler*innen mit einer unzureichenden Testinfrastruktur konfrontiert, um Standards zu entwickeln, Innovationen zu testen und neue Produkte zu zertifizieren.
Das neue EU-geförderte Projekt “Testing and Experimentation Facility for Health AI and Robotics” (TEF-Health) mit einem Gesamtbudget von rund 60 Millionen Euro soll die Validierung und Zertifizierung von KI und Robotik in Medizinprodukten erleichtern und beschleunigen.
Im Gespräch mit der Projektleiterin Prof. Dr. Petra Ritter, Direktorin der Sektion Gehirnsimulation am Berlin Institute of Health (BIH) und an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie an der Charité, und ihrem Projektpartner Dr. Dirk Schlesinger, Leiter des TÜV AI Lab, erfuhren wir mehr über ihren innovativen Ansatz, die Bedeutung der Datenverfügbarkeit und die Rolle als Herzstück der Berliner KI-Landschaft.
Wir freuen uns sehr, dass Sie heute hier sind, um über dieses ambitionierte Projekt zu sprechen. Könnten Sie kurz das Projekt, das Konsortium und die Bedeutung des TEF erläutern?
Prof. Dr. Petra Ritter: Vielen Dank, dass Sie uns eingeladen haben. Das neue Projekt heißt "Testing and Experimentation facility Health AI and Robotics" (TEF). Es ist ein großes Konsortium mit 51 Partnern, 9 beteiligten Ländern und zahlreichen europäischen Institutionen. Das Ziel des Projekts ist es, sowohl Innovationen im Bereich der KI und Robotik auf den Markt zu bringen, als auch unsere zukünftigen Kund*innen, welche Start-ups und KMU sind, dabei zu unterstützen, ihre Innovationen auf den Markt zu bringen.
Dr. Dirk Schlesinger: Wenn ich das ganze Projekt zusammenfassen müsste, ginge es um drei Dinge: Erstens geht es um Daten, denn ohne Daten gibt es keine KI, und medizinische Daten sind sensibel, gleichzeitig rar und müssen geteilt werden. Wie kann man diesen Widerspruch auflösen? Zweitens geht es um Infrastruktur, wir reden hier über lernende Systeme; wir brauchen also eine Infrastruktur von Hochleistungsrechnern, Labore und im Grunde genommen Orte, an denen Anwendungsfälle ausgeführt werden können. Und Drittens geht es um Zertifizierung. Es geht um das Vertrauen, das wir schaffen müssen sowie um den Prozess, wie wir diese Innovation auf den Markt bringen können. Und zwar schnell und ohne zu viele Ressourcen zu verbrauchen. Das ist das Ziel des Projekts.
Können Sie die Idee hinter dem Projekt erläutern und wie der Zeitrahmen und die Etappen während des Projekts geplant sind?
PR: TEF-Health ist in neun Knoten (Nodes) organisiert– jedes Land bildet einen eigenen Knoten. Auf der Grundlage von Anwendungsfällen arbeiten wir mit Start-ups und KMUs zusammen, um den Prozess der Zertifizierung und Validierung der Anwendungen zu begleiten und zu unterstützen.
DS: Das ist ein sehr wichtiger Punkt, denn wir wollen mit diesem Projekt den Weg ebnen für das, was wir in Ermangelung eines besseren Begriffs "agile Zertifizierung" nennen. Beim heutigen Verfahren baut man etwas, es ist fertig, dann kommt jemand und auditiert es, dann wird es zertifiziert, und insgesamt dauert es ewig. Das können wir in der KI und vor allem in der medizinischen Innovation nicht mehr machen, es muss viel schneller gehen. Also wollen wir einen parallelisierbaren Prozess entwickeln. Jetzt wird es komplex, denn es gibt die Forschung, das Unternehmen welches Medizingeräte herstellt, den/die Auditor*in und letztendlich den/die Zertifizierer*in, der/die eine unabhängige dritte Partei sein muss. Deshalb brauchen wir das Ökosystem im TEF Health. Wir müssen all diese Akteur*innen an einem Ort zusammenbringen und dann dafür sorgen, dass sie die Anwendungsfälle haben, die Petra angesprochen hat, denn das macht die Prozessentwicklung praktisch. Das ist keine Übung auf dem Papier.
Was ist die KI-Komponente der Daten und die Technologie dahinter?
PR: Das Gehirn z.B. enthält sehr komplexe Daten, die Aufschluss über die ablaufenden Prozesse geben. Umfassende individuelle Informationen werden benötigt, um Gesundheitsanwendungen für das Gehirn zu entwickeln, die für die Patient*innen nützlich sind. Es ist nicht zielführend hier die Daten der Patient*innen zu anonymisieren, da dadurch die wichtigen individuellen Informationen verloren gingen. Man kann die Komplexität beziehungsweise die biometrischen Informationen – die so aufschlussreich sind wie ein Fingerabdruck sind - nicht aus den Daten herausnehmen, denn dann wären sie im Grunde für die meisten Fragestellungen nutzlos. Wir brauchen also Möglichkeiten, die personenbezogenen Daten datenschutzkonform zu integrieren, um digitale Zwillinge des Gehirns zu erstellen und beispielsweise mechanistische Simulationen zu ermöglichen, die mit maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz sinnvoll kombiniert werden können.
DS: Wenn ich kurz ins "Geek-Land" gehen darf: Wir werden am „federated learning“ arbeiten, was bedeutet, dass nicht die Daten, sondern das Modell von Krankenhaus zu Krankenhaus wandert, so dass wir mehr Daten haben, um die KI zu trainieren. Wir sprechen von homomorpher Verschlüsselung um die Privatheit von Daten sicher zu stellen. Es gibt viele verschiedene Ansätze, die helfen, dass wir dort, wo wir glauben, gegenüber China und den USA im Nachteil zu sein, Abhilfe schaffen können, weil wir die Technologie haben, um sicher und geschützt Daten für das KI-Training bereitstellen zu können.
Warum ist das Projekt in Berlin und wie leiten Sie es?
DS: Das hat mehrere Gründe. Zunächst einmal: Warum Berlin? Wir haben das größte Ökosystem von KI-Unternehmen hier in dieser Stadt. Nur wenn wir die Probleme gemeinsam angehen, kommen wir zu einer Lösung, die dem/der Patient*in wirklich hilft. Zweitens: Petra sitzt in Berlin und leitet das Projekt auf europäischer Ebene. Sie führt im Grunde die Regie.
PR: Die Charité ist eine der größten Universitätskliniken in Europa, und wie Dirk schon sagte, haben wir ein sehr lebendiges Forschungsumfeld. Es gibt viele Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz, sowohl im akademischen Bereich als auch in der Industrie. Diese Kombination von führender medizinischer Forschung und einem Team, das sie unterstützt, zusammen mit diesem Umfeld und dem Ökosystem, das in Berlin entsteht, sind wir sehr gut gerüstet, um diese große Initiative zu koordinieren.
DS: Alles dreht sich um Talente, und die gibt es hier in Berlin. Um ehrlich zu sein, geht es auch um die Finanzierung, und der Berliner Senat war so freundlich, das Projekt mitzufinanzieren, und Petra hat die Verantwortung übernommen, das Projekt von Anfang an zu leiten. Es ist also ein ganz natürlich entstandener Platz, an dem alles zusammenläuft.
PR: In der Tat haben wir viel Unterstützung erhalten. Es ist sehr wichtig zu wissen, dass 50% der Finanzierung von den Mitgliedsstaaten kommt, und in unserem Fall ist der Berliner Senat sehr hilfreich bei der Kofinanzierung, zusätzlich zum Berlin Institute of Health (BIH), das die Initiative ebenfalls unterstützt, und wir haben andere Unterstützer wie Berlin Partner, die ebenfalls sehr wichtig für das Projekt sind. Wir arbeiten auch mit Institutionen wie der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) und anderen wichtigen Akteur*innen zusammen.
Vielen Dank Ihnen beiden für Ihre Einblicke und alles Gute für die Zukunft von TEF.
* Dieses Interview wurde von Amira Gutmann-Trieb, Clustermanagerin IKT, Medien und Kreativwirtschaft bei Berlin Partner geführt.
Die Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH und die bei ihr ansässigen Clustermanagements Gesundheitswirtschaft und IKT haben das Projekt unterstützt durch einen Stakeholderdialog und einen Workshop mit ca. 50 KI-Akteuren aus Berlin, die Exploration der TEF-Förderung via EU-Kommission, Bundesministerien und dem Berliner Senat, die Kontaktherstellung und Gewinnung weiterer Partner für das Konsortium sowie das Einholen von Letters of Interest von Unternehmen als potenzielle Nutzer der TEF-Services.
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