Rund 5 Millionen Menschen in Deutschland nähen in ihrer Freizeit. Was macht Spaß am Nähen? Wenn die Nähmaschine rattert und man kreativ mit den Stoffen umgeht. Was macht keinen Spaß? Das Schnittmuster vorzubereiten. Allen, die in Ihrer Freizeit nicht nähen, kann Dr. Nora Baum, Geschäftsführerin Pattarina aus Cottbus, anschaulich erläutern, warum dies so ist.
Entweder kauft man Vorlagen mit Zeitschriften und Büchern, dann sind unendlich viele Linien auf einem Blatt, denn die Verlage drucken – um zu sparen – viele Schnittmuster übereinander. Oder man kauft ein Schnittmuster als PDF, dann muss man es selber ausdrucken und die vielen Blätter mühsam präzise zusammenkleben.
Die Idee
Nora Baum hat das Nähen von ihrer Mutter gelernt und zuerst ihre Barbie-Puppe eingekleidet. Dann folgte eine lange Zeit ohne Nähen. Aber mit den Kindern kam das Hobby zurück in ihr Leben – und damit auch die anstrengende Vorbereitung der Schnittmuster. Auf der Rückfahrt von einer Silvesterparty hatte sie die Idee: Warum nicht die Linien des Schnittmusters per Licht auf den Stoff übertragen, vielleicht mit einem Beamer?
Kleine Monster gaben den Anstoß
Kurz danach wurde das Handy-Spiel Pokémon Go zu einem Hype, die kleinen Monster, die im Freien gesucht und gefangen werden, ermöglicht durch Augmented Reality (AR). Die kleinen Monster gaben den Anstoß: warum nicht diese Technik nutzen und eine App für das Handy entwickeln? Nora Baum, die an der Universität in Cottbus über die Digitalisierung von Handwerksleistungen promovierte und lange bei Unternehmensberatungen arbeitete, beließ es nicht bei ihrer Idee, sondern ging das Ganze an.
Das Konzept der App und die ganze Pattarina-Idee haben die Gründer sorgfältig aufgebaut. Am Anfang interviewten sie Nähende dann testeten rund 45 Personen den ersten Prototyp. Im Januar 2019 folgte der große Live-Test mit 1.600 Nähenden, von denen 800 Feedback gaben.
Wie kommt Pattarina an die wertvollen Test-Kunden? Wer geglaubt hat, dass das Nähen von gestern ist, den belehrt diese Start-up-Story eines Besseren. Durch Berichte in Fachmedien und Tageszeitungen, Social Media-Aktivitäten, eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne und Besuche von Branchen-Messen haben sich die Cottbusser in der Zielgruppe schnell einen Namen gemacht. Im Sommer 2019 haben sich bereits 11.000 Stoffliebhabende auf der Seite registriert.
Unterstützt durch das Beratungsprogramm für Gründerinnen und Gründer „Innovationen brauchen Mut“ – Trägerin des Programms ist die Wirtschaftsförderung Brandenburg – stellte sie einen erfolgreichen Antrag auf ein EXIST-Gründerstipendium. Über ihre Doktormutter, Professorin Hipp, kam sie in Kontakt mit Professor Lewerentz von der BTU Cottbus-Senftenberg und seinen Doktoranden Markus Uhlig. Aus Uhlig, IT-Architekt und Softwareentwickler, wurde dann schnell der Gründungspartner. Und Professor Lewerentz, der selber schon gegründet hatte, gab viele nützliche Tipps für die nächsten Schritte.
Grundidee: Die Schnittmuster sind über eine App abrufbar
Die Grundidee war klar: Die Schnittmuster sind über eine App abrufbar. Man wählt das gewünschte Schnittmuster aus und hält sein Handydisplay über den Stoff. Nun schaut man durch das Display auf seinen Stoff und bekommt die Linien exakt angezeigt. Mit der freien Hand zeichnet man die Linien mit einem Marker auf den Stoff.
Wo stecken die Herausforderungen? „Die Nutzer tun sich anfangs nicht leicht, daran zu glauben, dass die Linien, die im Handy anzeigt werden, stimmen. Da mussten wir viel an der Benutzerführung arbeiten. Das zweite Thema ist die Präzision bei Augmented Reality“, sagt Nora Baum.
Next steps
Die App ging im Spätsommer 2019 für iOS sowie Android an den Start. Pattarina will mit dem Feedback der ersten Nutzenden die App weiter verbessern, damit das Unternehmen gewappnet ist, wenn im Spätherbst die Nähsaison beginnt. Die Zusammenarbeit mit Desigschaffenden und Verlagen soll ausgeweitet werden, so dass abwechslungsreiche Schnittmuster im Angebot sind.
Mit der im Sommer erhaltenen Förderung „Gründung innovativ“ werden die nächsten Schritte angegangen. In vielen Ländern ist Nähen en Vogue. Allein in den USA spricht man von 30 Millionen Menschen, die ihre Kleidung zumindest in Teilen selber nähen, und auch in anderen Ländern ist das Hobby verbreitet. Ein großer Markt, den das Cottbusser Unternehmen erobern will.