Nadine Jüdes (l.) und Amira Gutmann-Trieb (r.) © Berlin Partner

Nadine Jüdes (l.) und Amira Gutmann-Trieb (r.) © Berlin Partner

Zukunftsköpfe

Ein Interview mit Amira Gutmann-Trieb, Clustermanagerin „IMK“, und Nadine Jüdes, Abteilungsleiterin „Digitale Wirtschaft | Startups“, von Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie zu den Themen und Herausforderungen ihrer Arbeitsgebiete.

Die Gemeinsame Innovationsstrategie der Länder Berlin und Brandenburg hat sich zur Aufgabe gemacht, die Cluster „Gesundheitswirtschaft“, „IKT, Medien und Kreativwirtschaft“ (IMK), „Verkehr, Mobilität und Logistik“, „Energietechnik“ sowie „Optik und Photonik“ verstärkt zu fördern. Die länderübergreifenden Innovationsthemen koordiniert dabei das Clustermanagement bei Berlin Partner. Zusätzlich unterstützen die Wirtschaftsverwaltungen in Berlin und Brandenburg jeweils länderbezogene Vorhaben – in Berlin erfolgt dies über die Landesinitiative Projekt Zukunft. Wir haben Amira Gutmann-Trieb, Clustermanagerin „IMK“, und Nadine Jüdes, Abteilungsleiterin „Digitale Wirtschaft | Startups“, von Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie zu den Themen und Herausforderungen ihrer Arbeitsgebiete befragt.

Das Cluster IMK rückt die Digitale Wirtschaft und dadurch auch die Digitale Transformation in den Fokus. Welche Bedeutung hat es für Berlin?

Amira Gutmann-Trieb (AGT): Das Cluster IMK verschränkt Technologiefokus und Kreativität, zwei Hauptmerkmale unserer Stadt. Hier arbeitet das Cluster komplementär und in enger Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe sowie dem MWAE zusammen. Allein im letzten Jahr konnten so insgesamt 98 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 68,9 Millionen Euro – davon 42 Projekte neu initiiert – durchgeführt werden. Unter diesen Projekten befindet sich beispielsweise „AURA – Auralisation of acoustic heritage sites useing Augmented and Virtual Reality“, ein europäisches Projekt mit Deutschland, Italien und Ukraine, das mittels Modellversuch aufgezeigt, wie Musikerlebnisse neu interpretiert und kreiert werden können. Ebenso begleiten wir zum Beispiel KORG Berlin, ein Entwicklungslabor des japanischen Musikinstrumentenherstellers, und stehen ihm beratend zur Seite. Das Cluster ist eine Art Motor und Arbeitsoberfläche zugleich. 

Nadine Jüdes (NJ): Insbesondere das Startup-Ökosystem in Berlin zeigt sich als idealer Nährboden für neue Trends und Entwicklungen. Oft sind es Unis oder andere Einrichtungen aus Forschung und Entwicklung, die als Inkubatoren für Startup-Ideen dienen. Aber auch immer mehr Innovation Hubs und Labs großer deutscher Industrieunternehmen lassen sich in Berlin nieder. Mit ihrem Mix aus vielen Playern sorgt die Digitale Wirtschaft in Berlin für das größte Wachstum.

Das alles stärkt auch die Rolle Berlins im internationalen Wettbewerb. Entrepreneure aus aller Welt kommen nach Berlin, weil sie die ausgeprägte Gründungskultur, die vielfältigen Tech-Konferenzen und Gründungswettbewerbe schätzen. Gerade erst wurde Berlin in einer Umfrage von 29 Ländern zum besten Startup-Standort in Europa gewählt. Das ist das Ergebnis der „Startup Heatmap-Umfrage 2021“. Berlin hat damit London als Spitzenreiter abgelöst und belegt in der jährlichen Meinungsumfrage erstmals Platz eins.

Wie sieht die tägliche Arbeit einer Clustermanagerin bzw. Abteilungsleiterin aus?

AGT: Wir haben täglich mit ganz unterschiedlichen Menschen zu tun. Mit Wissenschaftler*innen, die Spitzenforschung betreiben, mit Gründer*innen, die mit Projektideen auf uns zukommen, mit KMUs, die sich über neue Technologien wie KI und Blockchain informieren wollen, aber auch mit Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen, die sich um Förderung von Bund und Land bewerben.

Auch inhaltlich wird es ganz und gar nicht langweilig. Ständig erschließen sich neue Technologien oder Anwendungsfelder, die wiederum neue Branchen in Berlin etablieren könnten. Ein großes Potenzial liegt beispielsweise in branchenübergreifenden Anwendungen, wie etwa Künstliche Intelligenz in der Logistik oder Blockchain in der Energiewirtschaft.

NJ: Als Abteilungsleiterin bin ich für die Entwicklung und Umsetzung von Strategien und Aktivitäten zur Ansiedlung von Unternehmen aus IKT, Medien und Kreativwirtschaft, für die systematische und abgestimmte Betreuung und Beratung der rund 1.500 in Berlin ansässigen Key Accounts und bezirklichen Zielunternehmen sowie für die Koordination von Startup-Aktivitäten verantwortlich. Auch das Thema Internationalisierung, die Einbindung von Querschnittsthemen in die Clusteraktivitäten und die Identifikation von Trend- und Innovationsthemen spielen eine wichtige Rolle. Wir arbeiten bei Berlin Partner mit über 230 Partnern aus der Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung zusammen und unser gemeinsames Ziel ist dabei immer, Wachstums- und Beschäftigungseffekte am Standort Berlin zu generieren.

In unseren Jobs geht es täglich darum, die verschiedenen Akteure des Clusters miteinander zu vernetzen. Auch wenn wir Innovationsprojekte initiieren oder begleiten, vollzieht sich das immer gemeinsam mit Partnern. Denn nur so können wir Maßnahmen eng verzahnt planen und die Themen im Cluster mit weiteren Schwerpunkten verknüpfen, zum Beispiel Smart-City-Strategien entwerfen oder internationale Talente gewinnen. Gerade dieser integrative Ansatz auf den verschiedenen Ebenen macht unsere Arbeit so interessant und ist auch immer mit dem Ziel verbunden, Lösungen für die Herausforderungen des wachsenden Berlins zu gestalten.

Erst kürzlich wurde der 2015 erstellte Masterplan des Clusters überarbeitet − unter Mitwirkung vieler Unternehmen und wissenschaftlicher Einrichtungen des Clusters. Wie war die Resonanz auf diese Möglichkeit der Partizipation?

AGT: Die Resonanz war sehr positiv. Wir haben einen partizipativen Prozess initiiert, mit strategischen Workshops zu IKT, Medien und Kreativwirtschaft und mit mehr als 80 Expert*innen-Interviews und 150 Onlinebefragungen. Dadurch konnten wir mit den Akteur*innen einen gemeinsamen Roten Faden definieren. Ich selbst kam, während der Prozess im Gang war, an Board und war von der aktiven Mitwirkung der Unternehmen und wissenschaftlichen Partner richtig beeindruckt.

Der neue Masterplan zeigt Innovationsfelder auf, in denen die Cluster-Unternehmen besondere Wachstumschancen haben. Welche sind das? Und wie wirkt sich die Neuausrichtung auf die zukünftige Arbeit des Clusters aus?

AGT: Kerninnovationsfelder im Cluster sind Künstliche Intelligenz (KI), Blockchain, Internet of Things (IoT), Digital Security, Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR), Extended Reality (XR) sowie Usability und Design.

NJ: Wir arbeiten an vielen Projekten, in denen diese Innovationsfelder eine zentrale Rolle spielen. Aktuell gibt es auch Querschnittthemen wie Smart City und Smart Country, also die Belebung ländlicher Räume mit digitalen Lösungen. Dabei erweist es sich klar als Vorteil, dass Berlin und Brandenburg im Rahmen der gemeinsamen Innovationsstrategie eng zusammenarbeiten. Denn so lassen sich die Trends und Themen viel einfacher gemeinsam gestalten und strategisch entwickeln.

AGT: Was ich bemerkenswert finde: Berlin schafft überall den Freiraum, gute Ideen auf ihre Umsetzungsfähigkeit zu prüfen − im Reallabor, im Test und in der Simulation. Das ist extrem wichtig, denn auf diesem Spielfeld sind Wissenschaft und Wirtschaft ganz besonders aufeinander angewiesen. Wir arbeiten daher immer enger mit unseren exzellenten Forschungseinrichtungen zusammen, direkt an den Transferstellen.

Nicht überraschend gehört KI zu den Innovationsfeldern, die als besonders wachstumsstark gelten. Gibt es da besonders interessante Projekte im Bereich Medien und Kreativwirtschaft?

AGT: Ja, natürlich. Die Kreativwirtschaft gilt im Cluster als Impulsgeber. Ein besonders spannendes Projekt, das wir durch Beratung, Förderung und Vernetzung zu VCs begleitet haben, ist Yoona Technology. Anna Franziska Michel hat ihr Startup im vergangenen Herbst gegründet. Im Fokus ihrer KI-basierten Software steht Nachhaltigkeit in der Modebranche.

NJ: Oder das Software-Unternehmen Episerver, das Content Management und Commerce mit KI-gestützten Daten- und Personalisierungstools kombiniert. Oder die digitale Marketingplattform Mapp Digital, die KI zum Scoring und zur Visualisierung von Daten nutzen, um Kund*innenverhalten vorherzusagen. Und der Hörbuch-Anbieter Audible, der KI auf Hörbücher anwendet.

Welche Herausforderungen mussten Sie im Kontext der COVID-19-Pandemie meistern?

AGT: Mit der Pandemie kam ein Bruch, ein Paradigmenwechsel. Insbesondere der Kreativ- und Eventbranche sowie vielen Künstler*innen und Soloselbstständigen wurde, von einem Tag auf den anderen, die Geschäftsgrundlage entzogen. Die Darstellende Kunst, die Musikbranche, der Kunstmarkt sowie die Filmwirtschaft haben die höchsten Umsatzeinbrüche erlitten. Das liegt einerseits an den ergriffenen Maßnahmen und andererseits an dem hohen Anteil an Soloselbstständigen. Das gilt für 2020 und ebenso für eine Prognose, die bei einem Lockdown bis Ende April für 2021 Umsatzeinbußen von 18 Prozent gegenüber 2019 errechnet hat. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele Gründer*innen und Unternehmer*innen, die digitale Innovationen schon früh adaptiert hatten, auch in der Krise mit Tempo und Agilität weiterarbeiten und teilweise sogar neue Geschäftsfelder erschließen konnten.

NJ: Wir sehen in den massiven Herausforderungen aber auch die Chance, die Verknüpfung von Technologie und Kreativität zu stärken. Wie in einem Brennglas wurde die Digitalisierung an vielen Stellen auf einmal notwendig, sogar überlebensnotwendig. Die Pandemie hat hier wie ein Katalysator gewirkt, der die Digitalisierung auf ein neues Niveau gehoben hat. Im Verhältnis zum restlichen Teil der Berliner Wirtschaft ist die Digitale Wirtschaft tatsächlich resilienter. An vielen Stellen hat sich in kurzer Zeit die Welt verändert – und nicht nur die Arbeitswelt. Neben den zahlreichen Soforthilfen und Konjunkturprogrammen auf Landesebene haben Berlin Partner und die Wirtschaftsverwaltung über zahlreiche Gespräche und Townhall Calls den Kontakt mit den Unternehmen gesucht. Wir wollten deutlich machen, dass wir diese Veränderung gemeinsam stemmen und gestalten können und werden.

Gerade erst fiel der Startschuss für den „Innovationspreis Berlin Brandenburg 2021“. Erwarten Sie in diesem Jahr besonders viele Einreichungen, die dem Cluster IKT, Medien, Kreativwirtschaft zuzurechnen sind?

AGT: Die Startup-Szene ist stark und lebendig, genauso wie unser wissenschaftliches Umfeld. Daher erwarten wir, dass die Einreichungen das Engagement unserer Unternehmen aus Wissenschaft und Wirtschaft widerspiegeln. Im letzten Jahr kamen aus dem Cluster IMK tatsächlich die meisten Bewerbungen.

NJ: Der „Innovationspreis Berlin Brandenburg“ hat eine besondere Stellung, da er mit der Innovationsstrategie Berlin Brandenburg 2025 eng verzahnt ist. Das Ziel des Wettbewerbs ist es ja, zukunfts- und marktfähige Entwicklungen sichtbar zu machen und zu fördern. Eine zentrale Idee ist, dass die Innovationen von heute die Arbeitsplätze von morgen sein können.

Welche Projekte stehen bei Ihnen momentan an?

Derzeit intensivieren wir gemeinsam mit dem IoT & FinTech Hub Kooperationen mit anderen Hubs in Deutschland, insbesondere mit Potsdam, Dresden und Stuttgart. Für Oktober 2021 ist ein internationaler Workshop beim „Asia Berlin Summit“ geplant. Und auch das Format „Coffee Break IoT+“ wird in diesem Jahr wieder stattfinden, konkret zu den Themen Nachhaltigkeit, Logistik, Gesundheit, Mobilität, Sensorik, Blockchain und KI. Das länderübergreifende Projekt „MR4B“ zwischen Berlin und Brandenburg fokussiert auf den Einsatz von VR-/AR-/XR-Technologien in der industriellen Produktion. Das Clustermanagement unterstützt dabei auch den „VR NOW Award“.

Sie sind beide noch recht frisch dabei. Gibt es Projekte, auf die Sie sich besonders freuen?

AGT: Blockchain in neuen Anwendungsfeldern zu betreiben, ist für mich ganz besonders interessant. Viele Menschen verbinden Blockchain ausschließlich mit Bitcoin und der Finanzwelt. Aber wir sehen auch Anwendungspotenzial in der Verwaltung, Kreativwirtschaft, Energie und am Immobilienmarkt. In der Projektinitiative „Digitale Zeugnisse“ ist geplant, Zeugnisse über die Blockchain an allen Berliner Schulen umzusetzen. Das Startup Licence.rocks, das letztes Jahr den „Deep Tech Award“ gewann, wendet die Blockchain innovativ auf die Musikbranche an. Wir wagen demnächst auch den Blick weiter in die Zukunft, mit Projektideen, die beispielsweise die Frage stellen, ob sich ein Park über eine Blockchain selbst verwalten und finanzieren könnte.

NJ: Mich begeistern die zukunftsweisenden Innovationsthemen und generell die vielen Möglichkeiten der Impulsgebung, Gestaltung und Vernetzung in meinem neuen Arbeitsumfeld. Ich freue mich riesig, dass ich für Berlin so viele spannende Themen mit vorantreiben kann. Auch auf die Internationalisierung und die möglichen neuen Trends, die damit einhergehen, bin ich gespannt: Wie wird sich das Thema nach der COVID-19-Pandemie entwickeln? Wie verändern sich die Arbeitswelten und -weisen in den verschiedenen Branchen lokal und international? Werden sich hybride Modelle bei der Anbahnung neuer Wirtschaftskontakte langfristig etablieren? Darüber hinaus startet Berlin Partner in diesem Jahr ein Pilotprojekt zum Thema Afrika. Das wird bestimmt interessant.

Sie haben in Ihren Positionen einen Einblick in das aktuelle IMK-Ökosystem in Berlin – welche Trends und Entwicklungen sehen Sie für die Zukunft?

AGT: Am Horizont sind Trends zu High-Performance-Computing, Quantentechnologie und Cross Technology, die Verschränkung von Technologien wie IoT und Blockchain. Ein funktionierendes, gesundes Ökosystem wächst – eine Community entsteht, die Talente aus der ganzen Welt nach Berlin ziehen kann. Mittlerweile leben und arbeiten Menschen aus mehr als 170 Nationen in Berlin. Zwei Drittel der Menschen, die hierherziehen, sind überdurchschnittlich qualifiziert und sprechen drei oder mehr Sprachen.

Wie der „Migrant Founders Monitor 2021“ zeigt, wird jedes fünfte Startup in Berlin von Migrant*innen gegründet. Fast die Hälfte aller deutschen KI-Startups sind in unserer Stadt, von 314 Finanzierungsrunden wurden 42 Prozent in Berlin durchgeführt. Mehr als 120 Unternehmen und Startups in Blockchain sind hier in Berlin. Diese Community, die dezentral agiert, hat sich selbst Berlin ausgesucht. Dies gilt es zu unterstützen: Das Cluster IMK fördert und begleitet weiterhin Ideen, Innovationen und die Menschen, die sie in unserer Stadt umsetzen.

NJ: Für die Berliner Startup-Szene ist Diversität ein Schwerpunktthema. Hier arbeiten wir derzeit gemeinsam mit unseren Partnern an einer größeren Sichtbarkeit des Themas und einer Verbesserung der Rahmenbedingungen.

Vielen Dank, dass Sie sich beide die Zeit für ein Gespräch genommen haben.

Dieses Interview erschien zuerst hier